Samstag, 7. Juni 2014
Tanzstunde
"Wie lang noch?"
Nadja dreht sich noch einmal, versucht den Körper, wie angeordnet gerade zu halten, die Beine versteifen sich allmählich.
"Fünf Minuten, sonst klapp ich zusammen"
Sie hält die Luft an, als ob Atmen eine Tätigkeit wäre, die ihre Konzentration belasten würde.
Sie winkelt das Bein an, zieht es hoch, möglichst gleichmäßig.
"Nicht das, du weißt was ich meine"
"nein"
Sie lächelt und pustet sich die Haare aus dem Gesicht, die die sich vor ihr drehende Welt, immer wieder überdecken.
"was meinst du?"
Adam tippt mit seinem Finger an die Schläfe, die pulsiert, und verschränkt schließlich seine Arme.
Nadja knickt zur Seite, hebt den linken Arm elegant über den beinahe waagrechten Körper und beugt sich solang hinunter bis sie den Schalter erreicht.
Die Lautstärke steigt, und sie spürt wie ihr Körper vibriert, ihr Körper wird von der Melodie gelenkt, sie legt den kopf leicht seitlich und summt mit.
Die Beine entspannen sich, sie kann die verspannten Zehen wieder spüren, nicht einzeln, nicht in diesen geschnürrten Schuhen.
Das Kleid ist ebenfalls zu eng, sie dachte öfters daran es zu lockern, bekam dann allerdings wieder diese unbändige Angst, dass ihr zierlicher Körper dadurch auseinanderfallen würde.
Die Musik füllt die große Pause zwischen ihr und Adam, die sich ausbreitet, und für wenige Sekunden vergisst sie die Spannung, welche in der Luft liegt.
Sie zählt lautlos mit, höchstens noch zwei Minuten, es ist das letzte Lied auf der Playlist, es sind die letzten zwei Minuten des Training.
Noch hat sie ein Recht, nur das schleifende Geräusch der Schuhe auf dem Parkett zu hören und ihre Siluohette schemenhaft in dem wandfüllendem Spiegel zu erhaschen.
Schließt die Augen, wünscht sich die Pirouetten würden sie mit sich reißen, in den weiß-blauen Himmel, der wie ein Gemälde durch das Dachfenster schimmert.
Sie macht die letzte Schrittfolge, das letzte Klacken auf dem Boden, der letzte Ton des Liedes.
Sie bricht ab, knickt ab, sieht den kurzen Schock in Adams Gesicht, fängt sich, lässt ihren Körper in eine grazile Verbeugung an das imaginäre Publikum fließen, genießt die Sorge und das Fragezeichen, was sein besorgter Ausruck reflektiert.
"Ich weiß es nicht, es tut mir leid"
"Sicher?!" Er legt die Stirn in Falten, sie muss lächeln.
Dann fängt er wieder, Nadja ist kurz davor die Augen zu verdrehen.
Sie beginnt die doppelknotige Schleife aufzutrennen, vermeidet den eindringlichen Blick von Adam zu erwidern.
"Alles in Ordnung?"
"Passt, alles bestens"
Das Lächeln bleibt wie eine Maske auf ihrem Gesicht kleben, im Bad hält sie ihr Gesicht unter eiskaltes Wasser, als ob sie es abwaschen wollte.
Wasser und Tränen vermischen sich.
Ohne ihr Spiegelbild auch nur eines Blickes zu würdigen rauscht sie aus der Umkleide, schaltet das Licht aus, wirft die massive Tür hinter sich zu, steckt sich eine Zigarette an, die aus ihren zitternden Fingern zu fallen droht.
"Nadja?"
Adams Stimmt in der tintenschwarzen Dunkelheit, sie dreht sich dem schwarzen Schatten instinktiv zu.
"Ja"
Sie lässt die Zigarette hastig fallen, tritt wahllos auf den Boden und wischt sich ihren Mund an ihrem Ärmel ab.
"Du hast deine Perücke vergessen"

Ich hoffe, euch hat diese Kurzgeschichte gefallen:)
Schöne Ferien!