Chances we´ve never taken
Heute bin ich ja iwi, warum auch immer, in bester Schreiblaune. Hier also eine Kurzgeschichte, hoffe, sie gefällt euch ;*:


Manchmal muss man dann lernen die bittere Pille zu schlucken, die nach Unsicherheit, Erinnerungen und Atemnot schmeckt, die einen stumm schreien lässt.
Eine Faust in die Magengrube wird zu einem Schuss ins Herz.
Jessy spürt ihre Finger, wie sie sich fest ineinander verknoten, die Knöchel laufen weißlich an, die Nägel in der Haut, der Blick aus dem Fenster, zurück zu der Shilouette, welche sich zwischen den Häusern und in der flimmernden, vibrierenden Sonne verliert.
Wie ein schwarzer Fleck auf einem Panoramabild, gemalt auf himmelblau.
Sie konzentriert sich darauf zu weinen, wenigstens eine einzige Träne sollte es doch schaffen dramatisch und absolut spektakulär über ihre Wange zu rinnen und schließlich in dem Stoff ihrer Bluse zu verenden.
Es kommen keine Träne, nicht mal ein Schleier auf ihren Augen. Nur der Schmerz der Nägel in der Haut, eine denkbar schlechte Kombination, aber immerhin eine Geste, die annähernd vermag auszudrücken, was in ihr vorgeht.
Sie fingert den IPod aus der Tasche, stöpselt sich von der Welt ab, schiebt den Balken auf und ab, lässt „Somewhere only we know“ lauter und leiser werden, drückt in der Mitte Stop.
Stellt sich vor, Stop drücken zu können. Ein Stop in dieser beschissenen Situation würde ihr ermöglichen, auszusteigen und über den erhitzen Asphalt zu laufen.
Sie weiß, dass diese Strecke alle ihre Rekorde brechen würde, sie würde nicht auf das „auf die Plätze, fertig, los“ warten, sie würde laufen, bis der Atem kurz und jedes Einatmen stechend sein würde. Ein Stop würde ihr erlauben, ihm noch einmal um den Hals fallen zu können. Und während alles in einer gespenstischen Starre verweilen würde, könnten sie beide einfach die Straße in entgegensetzte Richtung entlang gehen.
Sie könnte ihm soviel sagen, was mehr als wenige Minuten und einem Anflug von Mut bedarf.
Sie könnten....der Bus bleibt stehen. Jessy und die Übrigen drehen sich perplex richtung Gang, warten eine Reaktion des Busfahrers ab.
Mit dem Motor stimmt was nicht, oder die Bremse, eine Pause muss eingelegt werden, um das Problem genauer analysieren zu können. Eine Weiterfahrt für die nächste Viertelstunde sei in Betracht eines möglichen Defekts ausgeschlossen blablabla
Jessy fühlt sich wie betäubt, steigt mit dem Rest aus, setzt sich wie der Rest neben die beinahe unbefahrene Straße.
Sie legt den brummenden Kopf auf die angewinkelten Knie, blickt zurück.
Im Falle, dass ein derartiges unwahrscheinliches, aber nicht gänzlich unrealistisches Stop eintreten sollte, gibt es keine Anleitung.
Für einen Moment schließt sie die Augen und stellt sich vor die Entscheidung, ob sie laufen soll. Natürlich nicht, es wäre absehbar, wie wütend ihre Eltern reagieren würde, und was sollten auch die ganzen Mitfahrer denken und der Busfahrer erst. Außerdem befand sich ihr Koffer noch im Stauraum und ohne den wäre sie definitiv aufgeschmissen. Hinzu kommt, dass das Ticket teuer war und sie spätestens morgen daheim sein musste, weil ja dann wieder die Schule beginnt und...
Das Problem sei behoben, einsteigen, alle bitte, aber zackzack!
Jessy nimmte wieder denselben Platz fast ganz hinten, am Fenster, der Bus setzt sich in Bewegung, diesmal mit beschleunigtem Tempo.
Jessy drückt auf Play und dann kommen sie. Nicht einzeln, dramatisch und spektakulär, sondern ein ganzer Wasserfall.
Spülen die Mascara und den Eyeliner runter, sie wischt sich so gut es geht mit dem Ärmel über die Wangen. Versucht unäufällig, soweit das möglich ist, ihr Gesicht dem Fenster zuzwenden.
Die Pille wirkt, und wie.